Bild-Alt-Texte: Die unterschätzte SEO- und Barrierefreiheitswaffe
Stellen Sie sich vor, Sie betreten ein hochmodernes Rechenzentrum – und alle Servergehäuse sind mit grauen, beschriftungslosen Platten verkleidet. Genau dieses Informationsvakuum erleben Screenreader-Nutzer und Suchmaschinen-Crawler, wenn Bilder auf Ihrer Homepage ohne aussagekräftige Alt-Texte dastehen. Dabei geht es hier um weit mehr als nur um technische Compliance.
Warum Alt-Attribute keine lästige Pflichtübung sind
Die landläufige Meinung: Alt-Texte seien primär für Blinde. Falsch. Richtig ist: Sie bilden eine Drehscheibe zwischen Nutzererfahrung, technischer Zugänglichkeit und algorithmischer Auffindbarkeit. Google selbst bestätigt, dass beschreibende Alt-Texte ein rankingrelevanter Faktor sind – insbesondere bei der Bildersuche, die oft unterschätzte Traffic-Quellen erschließt. Ein Beispiel: Eine gut beschriebene technische Infografik kann monatelang organischen Traffic generieren, während das gleiche Bild ohne Kontextbeschreibung einfach ignoriert wird.
Die sieben Todsünden der Alt-Text-Verwaltung
1. Phantomtexte: Alt=““ – das digitale Äquivalent zum weißen Rauschen. Funktioniert nur bei dekorativen Elementen.
2. Keyword-Stuffing: „SEO-Beratung-Online-Marketing-Agentur-Hamburg-Billstedt“ schadet mehr als es nützt.
3. Dateinamen-Odysseen: „IMG_45903.jpg“ hilft weder Mensch noch Algorithmus.
4. Redundanzen: „Bild von: Server-Rack mit Blade-Systemen“ – das „Bild von“ ist überflüssiger Ballast.
5. Kontextblindheit: Dasselbe Bild in unterschiedlichen Abschnitten braucht unter Umständen unterschiedliche Beschreibungen.
6. Automatisierungsfallen: KI-generierte Alt-Texte ohne menschliche Qualitätskontrolle produzieren oft absurd sachfremde Ergebnisse.
7. Lücken-WMS: CMS-Systeme, die Alt-Texte beim Bild-Upload nicht erzwingen – ein administratives Ärgernis.
Technische Tiefenbohrung: Wie Crawler Bilder interpretieren
Suchmaschinen sind nach wie vor weitgehend „blind“ für Bildinhalte. Zwar verbessern sich Mustererkennungsalgorithmen ständig, aber bei technischen Inhalten stößt KI schnell an Grenzen. Ein Rack-Server mit spezifischer Kühlungstechnologie? Ein Vergleichsdiagramm zur Latenzzeit verschiedener CDNs? Hier versagt reine Bilderkennung kläglich. Der Alt-Text wird zur entscheidenden Kontextbrücke. Interessant: Google nutzt Alt-Texte sogar zur thematischen Einordnung der gesamten Seite. Fehlen sie, wird das als Qualitätsmangel gewertet.
Die Kunst der präzisen Bildbeschreibung
Gute Alt-Texte balancieren auf einem schmalen Grat: Sie müssen prägnant sein, aber ausreichend Informationen transportieren. Ein Praxisbeispiel aus der IT-Welt:
Schlecht: „Server“
Akzeptabel: „HPE ProLiant DL380 Gen10 Server“
Optimal: „HPE ProLiant DL380 Gen10 mit NVMe-Speicherkonfiguration in redundanter Kühlungsumgebung“
Entscheidend ist der inhaltliche Mehrwert. Bei technischen Screenshots sollte die Beschreibung die Kernaussage des Bildes erfassen, nicht nur den Oberflächeninhalt.
Alt-Texte und Google Ads: Der unterschätzte Synergieeffekt
Wer denkt, Bildoptimierung sei nur für organische Sichtbarkeit relevant, übersieht strategische Verbindungen. Die Qualität Ihrer Alt-Texte beeinflusst indirekt auch Ihre Google Ads Performance. Warum? Landingpages mit optimierten Bildern haben niedrigere Absprungraten – ein wichtiger Quality-Score-Faktor. Zudem ermöglichen präzise beschriebene Produktbilder bessere Remarketing-Kampagnen. Ein konkretes Use-Case: Ein Händler für Serverkomponenten konnte durch überarbeitete Alt-Texte auf Category-Pages die Conversion-Rate um 11% steigern – weil die Bilder plötzlich in relevanten Suchkontexten auftauchten.
Tools für die systematische Alt-Text-Analyse
• Screaming Frog: Extrahiert alle Alt-Attribute einer Website und zeigt Fehlstellen
• Lighthouse Audit: Integrierte Prüfung der Barrierefreiheit inkl. Bildbeschreibungen
• Axe DevTools: Detailanalyse mit WCAG-Konformitätslevel
• Semrush Site Audit: Kombiniert technische Prüfung mit SEO-Bewertung
• Einfache Bash-Skripte: Für Entwickler: grep-Befehle zur Extraktion aller Bild-Alt-Paare aus HTML-Dateien
Dabei zeigt sich immer wieder: Automatisierung findet Lücken, aber nur menschliche Intelligenz schafft qualitativ hochwertige Beschreibungen. Ein interessanter Aspekt: Viele CMS bieten mittlerweile KI-Assistenten für Alt-Texte an – nützlich für Standardbilder, aber bei Fachthemen oft katastrophal danebenliegend.
Rechtliche Stolperfallen: Barrierefreiheit ist kein Optional
Die EU-Richtlinie 2016/2102 macht klare Vorgaben zur digitalen Barrierefreiheit – und dazu gehören aussagekräftige Alt-Texte. Bei öffentlichen Aufträgen oder Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung ist dies bereits verpflichtend. Aber auch privatwirtschaftliche Anbieter sollten nicht riskieren, gegen das Diskriminierungsverbot zu verstoßen. Ein bemerkenswerter Präzedenzfall: 2021 verklagte ein blinder IT-Spezialist in Deutschland einen Cloud-Anbieter erfolgreich wegen unzureichend beschriebener Dashboard-Grafiken. Die Kosten für die Nachbesserung überstiegen den Aufwand für eine vorausschauende Optimierung um das Zwanzigfache.
Alt-Texte im Responsive Design: Eine neue Dimension
Moderne Webentwicklung stellt uns vor neue Herausforderungen: Was passiert, wenn dasselbe Bild auf unterschiedlichen Viewports unterschiedliche Ausschnitte zeigt? Ein Praxis-Tipp: Nutzen Sie das HTML5-Attribut srcset
nicht nur für Pixeldichten, sondern kombinieren Sie es mit kontextsensitiven Alt-Texten. Beispiel: Ein Diagramm zeigt mobil nur Kernkennzahlen, desktop dagegen Detaildaten. Hier sollten die Beschreibungen variieren. Leider unterstützen nur wenige CMS diese Feinsteuerung out-of-the-box – oft sind Custom-Lösungen nötig.
Integration in den SEO-Workflow: Kein Einzelkämpfer
Effektive Bildoptimierung ist kein isolierter Task. Sie muss eingebettet sein in:
• Technische SEO (Crawling-Effizienz)
• Content-Strategie (Themen-Cluster)
• UX-Design (visuelle Hierarchie)
• Redaktionsprozesse (Bildauswahl)
Ein häufiges Problem: Alt-Texte werden erst nachträglich hinzugefügt, oft unter Zeitdruck. Besser ist die Integration in den CI/CD-Prozess. So können beispielsweise Pull-Requests für neue Seiten automatisch auf fehlende Alt-Attribute geprüft werden. Tools wie Git Hooks oder Linting-Plugins machen’s möglich.
Die Zukunft: Beyond-Text-Beschreibungen
Mit ARIA-Labels und komplexen SVG-Beschreibungen zeichnen sich neue Standards ab. Für technische Dokumentationen wird zunehmend die Longdesc-Alternative diskutiert – eine verlinkte Detailbeschreibung für hochkomplexe Visualisierungen. Spannend auch die Entwicklung von AI-gestützten Context-Descriptions, die Beziehungen zwischen mehreren Bildern auf einer Seite analysieren. Doch keine Sorge: Der klassische Alt-Text bleibt die fundamentale Ebene – alles andere ist Sahnehäubchen.
Checkliste für die praktische Umsetzung
1. Crawl durchführen: Identifizieren Sie Bilder ohne oder mit mangelhaften Alt-Texten
2. Priorisieren: Beginnen Sie mit Key-Pages (Homepage, Produktkategorien, Top-Content)
3. Richtlinien erstellen: Definieren Sie Stilvorgaben für verschiedene Bildtypen (Produkte, Infografiken, Icons)
4. Redaktions-Toolkit: Bereiten Sie Vorlagen und Beispielsammlungen für Content-Ersteller vor
5. Technische Umsetzung: CMS-Templates anpassen, Upload-Prozesse optimieren
6. Monitoring: Einmal pro Quartal automatische Prüfungen durchführen
Am Ende bleibt eine einfache Erkenntnis: Wer Bilder als SEO-Assets statt als Dekoelemente begreift, erschließt ungenutztes Potenzial. Es geht nicht um Perfektion, sondern um pragmatische Verbesserungen. Oder wie ein Kollege kürzlich trocken bemerkte: „Ein halbwegs brauchbarer Alt-Text ist immer noch besser als der beste nicht vorhandene.“ In diesem Sinne: Öffnen Sie Ihren Code-Editor, nicht die Bilddatenbank – die eigentliche Arbeit beginnt im HTML.